Der Teil der gestrigen Ratssitzung (08.05.2012), der sich mit Eckert & Ziegler befasste, erwies sich als dermaßen beeindruckend, dass man um Worte ringt, die verdeutlichen, wie viele Kommunikationsebenen darin bedient wurden. Leider war die Atmosphäre dabei nicht, wie in der Dezembersitzung, geprägt von zuversichtlicher Spannung, sondern von absoluter Fassungslosigkeit. Literatur- und Filmfreunde werden wissen, wovon die Rede ist, wenn diesbezügliche Eindrücke mit denen aus Kafkas „Prozeß“ verglichen werden oder mit denen im „Haus, das Verrückte macht“ aus einer der Asterix-Verfilmungen.
Auf rechtlicher Ebene ging sicher alles seinen korrekten Gang; auch verfahrenstechnisch handelte es sich beim TOP 3a, der aufgrund der Aktualität der Nachrichten bezüglich des Plutoniums erst nach Erstellung der Tagesordnung eingereicht werden konnte, aber bei wenigen Enthaltungen einstimmig als Dringlichkeitsantrag akzeptiert wurde, um Anfragen an die Verwaltung, die diese in Gestalt des Ersten Stadtrates, Herrn Lehmanns, schriftlich beantwortet hatte und während der Sitzung verlas.
Anschließend gab es die Möglichkeit zu Zusatzfragen, die wiederum durch Herrn Lehmann beantwortet wurden. Soweit verlief alles in den erwarteten Bahnen – wenn man einmal davon absieht, dass es Herr Oberbürgermeister Hoffmann offensichtlich zwar für notwendig hielt, anwesend zu sein, nicht aber, wie von den Grünen zuvor in einem Offenen Brief erbeten, sich persönlich zum Thema zu äußern.
Die Inhalte allerdings, die die Verwaltung zum besten gab, wirkten zynisch und surreal: Man zog sich, sofern man nichts Besseres anzubieten hatte, darauf zurück, entweder nicht zuständig gewesen zu sein oder nicht der Pflicht unterlegen gewesen zu sein, etwas bekanntzugeben oder gar zu handeln. Das kennen wir aus vielerlei Zusammenhängen, es ist auf politischem Parkett üblich. Legal ist es (leider!) allemal.
Das Problem an der Sache ist allerdings: Solches Verhalten mag schlicht ärgerlich sein, wenn es um Angelegenheiten wie Aufstellen von Blumensträußen oder in falschen Farben gedeckte Dächer geht, aber bei einem Thema von der Brisanz dessen, was viele inzwischen als „Plutonium-Skandal“ bezeichnen, wirkt es wie die absolute Ablehnung jeglicher Verantwortung. Und das kann sich die Verwaltung einer Stadt nicht leisten.
Gleich mehrere Ratsmitglieder forderten genau diese fehlende Verantwortung ein; Nicole Palm (SPD) drückte es beispielsweise so aus (die Piratenpartei Braunschweig liefert ein recht umfangreiches Wortprotokoll): „Wann übernehmen Sie als Verwaltung Verantwortung und infomieren uns, wie es die Sensibilität des Themas erfordert [?]“.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, alle Kuriositäten dieser zynischen Realsatire wiederzugeben. Eine Zusammenfassung liefert die Braunschweiger Zeitung vom 09.05.2012. Die Quintessenz meiner eigenen Eindrücke mag als Ergänzung dienen:
- Die Verwaltung war seit 1998 aus feuerwehrtechnischen Gründen über die Existenz von Plutonium vor Ort (und anderen dort lagernden Stoffen) informiert, nur nicht über die zugehörigen Genehmigungen.
- Die Verwaltung sah sich offenbar nicht veranlasst, aufgrund dieses Reizwortes näher hinzusehen (Herr Lehmann: Es fehlt an Personal und Fachleuten, um das alles zu überprüfen).
- Die Frage, ob bzw. wie die Neubürger in den vielen Baugebieten informiert worden wären, wurde besonders interessant beantwortet: Es sei nicht „zielführend“, eine solche Information herauszugeben, außerdem könne man ja nicht für alle möglichen Szenarien Übungen durchführen. (Natürlich erfolgte auch der Verweis darauf, dass das einer Gleichbehandlung mit Anwohnern anderer Betriebe entspricht!)
- Evakuierungspläne kamen zwar zur Sprache, allerdings ist der Wissensstand der BISS nach wie vor, dass – bislang – lediglich Pläne für die Mitarbeiter existieren, nicht aber für die umliegende Bevölkerung. Auch wenn die zugehörige Frage sich auf den Schutz der Bevölkerung bezog, sagt die Antwort „Ergänzend werden Evakuierungspläne und -systeme zur Beurteilung der Gefahrstoffausbreitung vorgehalten“ nichts über die Anwohner aus, ganz abgesehen davon, dass ich mich frage, was es bedeutet, wenn Evakuierungspläne (so verstehe ich den Satz) der Einschätzung von Gefahr dienen sollen. Was soll das denn bedeuten? Müsste es nicht umgekehrt sein, erst wird die Gefahr eingeschätzt, und dann kommen die vorbereiteten Evakuierungspläne zum Einsatz? Ich hoffe schwer, dass das nur ein „Beamtendeutsch-Missverständnis“ ist!
- Die erbetene Beurteilung der „gewerbliche[n] Eignung und Zuverlässigkeit der Gewerbeausübenden auf dem Buchler-Gelände“ erfolgte nicht, und zwar mit dem Hinweis, die Stadtverwaltung sei nicht zuständig.
- Die Verwaltung sieht aufgrund des Vorhandenseins von Plutonium keinen neuen Sachstand und dadurch auch keinerlei Handlungsbedarf oder gar die Notwendigkeit zu umfassender Aufklärung und Information.
- Auf eine Anfrage aus dem Rat, ob die Verwaltung auch in Zukunft gedenke, die politischen Gremien und die Bevölkerung bei Themen dieser Größenordnung nicht zu informieren, erfolgte ein klares „Ja“.
Abgesehen von einigen Gesichtern, die ein undurchschaubares Lächeln aufwiesen, war deutlich zu spüren, wie sehr diese Antworten den Rat und die anwesenden Zuschauer erschütterten. Mein persönlicher Eindruck war: Der Rat der Stadt Braunschweig hat, von einer Handvoll möglicher Ausnahmen einmal abgesehen, sich klar dazu positioniert, Verantwortung zu übernehmen. Mein Vertrauen hat er dabei! Zumal ja auch die Information der Bevölkerung eingefordert wurde.
Die Verwaltung allerdings schien mehr daran interessiert zu sein, dass alle Aussagen ihrerseits juristisch wasserdicht und nichtssagend blieben; sie wirkte abgehoben, in einem negativen Sinn zu sachlich – und sie hat ganz offensichtlich eine völlig andere Weltsicht, völlig andere Maßstäbe als das absolute Gros der Menschen in Braunschweig. Wie will man denn mit dieser Verwaltung noch zusammenarbeiten, wie soll man ihr noch trauen können, wenn nicht einmal Plutonium ausreicht, um sie zur Zivilcourage zu mahnen? Was muss denn noch geschehen, damit unsere Verwaltungsbeamten begreifen, dass sie mit uns allen im selben Boot sitzen (im Gegensatz zu einem „importierten“ Oberbürgermeister – dass der nicht emotional involviert ist, scheint nur logisch…)?
Kafkaesk.