Streckenweise mutete die gestrige Debatte im Niedersächsischen Landtag an wie eine Neuauflage des Hearings zu EZN. Und das beim für uns so existentiellen Tagesordnungspunkt 23, „Atommüll im „Radioaktiven Dreieck“ zwischen Eckert & Ziegler in Braunschweig, dem Zwischenlager Leese und der niedersächsischen Landessammelstelle in Jülich (NRW)“, der wegen einer Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der Landtagsgrünen aufs Tapet gekommen war. Also eigentlich ein Grund, sich aus dem Livestream auszuklinken? Nicht unbedingt!
Im Großen und Ganzen bot sich ein ähnliches Bild wie im Braunschweiger Stadtrat: CDU und FDP hielten alles für völlig harmlos, während die Oppositionsparteien deutliche Kritik äußerten, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Die Tatsache, dass der Applaus für die CDU- und FDP-Abgeordneten deutlich lauter ausfiel als der für die Vertreter der übrigen Parteien, mag also schlicht der Tatsache geschuldet sein, dass sich zur Zeit deutlich mehr Vertreter von Schwarz-Gelb im Landtag befinden als die des farbigen Drumrum. Daran jedenfalls, dass etwa die Opposition unsachlich oder ausfällig geworden wäre, lag es nicht – im Gegenteil.
CDU und FDP führten weitgehend die altbekannten Argumente auf:
- Es bestand und besteht absolut keine Gefahr.
- Alles verläuft nach Recht und Gesetz.
- Die Grenzwerte werden eingehalten.
- Herr Dr. Eckert ist Philantrop, der Medizinprodukte herstellt.
- Wer EZN kritisiert, macht sich den kranken Menschen gegenüber schuldig, die auf diese Produkte angewiesen sind.
- Die Anwendung der 2000-Stunden-Regelung ist legal.
- Die Debatte über EZN ist ursächlich daran beteiligt, dass Mitarbeiter EZNs diskriminiert werden.
- Wer den NLWKN kritisiert, kritisiert dessen Mitarbeiter – und das ist unmoralisch.
- Die Opposition betreibt aus Wahlkampfgründen Panikmache.
- Die Nähe zu Wohngebiet und Schulen haben nicht CDU und FDP zu verantworten, sondern die SPD.
- „Einige wenige“ (also die BISS?) kritisieren EZN und bezeichnen sich selbst als „Aktivisten“.
- Sachlichkeit ist gefordert!
Ich erlaube mir, dies zu kommentieren, und verweise für Näheres auf frühere Artikel dieser Webseite (benutzen Sie die Suchfunktion oben rechts, und klicken Sie sich durch – es lohnt sich!):
* Es bestand und besteht absolut keine Gefahr.
Genau das zweifelt die BISS an, wobei es uns anfangs „nur“ um die Erweiterung ging. Angesichts der neuesten Erkenntnisse (Plutonium zwischen Wohnhäusern…) bleibt uns nun aber keine Wahl als anzunehmen, dass bereits jetzt das Gefahrenpotential nach utilitaristischen Gesichtspunkten betrachtet wird (die paar möglichen Toten, deren Angehörige die Ursächlichkeit ohnehin nicht beweisen können, gegenüber hohen Renditen…).
* Alles verläuft nach Recht und Gesetz.
Höchstwahrscheinlich, wobei hier an einigen Stellen Zweifel bestehen. Teilweise wird das voraussichtlich die Strafanzeige von Robin Wood und BISS ans Licht bringen. Aber das ist nicht das Problem. Gesetze haben Spielräume, und die werden hier ständig zuungunsten der Bevölkerung ausgelegt. Die Frage ist nicht, ob das legal ist, sondern ob es legitim ist.
* Die Grenzwerte werden eingehalten.
Nach Messungen von Robin Wood und mindestens einem offiziellen Messbericht des NLWKN, der selbst von „Grenzwertüberschreitung“ spricht, eindeutig nicht.
* Herr Dr. Eckert ist Philantrop, der Medizinprodukte herstellt.
Er stellt Medizinprodukte her, verarbeitet aber (und lagert über unbekannte Zeiträume) auch strahlende Stoffe / Materialien / Gegenstände aus Forschung und Industrie. Außerdem macht er außerhalb Braunschweigs, vorzugsweise Anlegern gegenüber, keinen Hehl daraus, dass er massiv ins Geschäft mit AKW-Rückbauten einsteigen will, dem er bereits seit vielen Jahren in kleinem Maßstab frönt. Die Medizinsparte soll im Endeffekt schließlich ungefähr die Größenordnung im Gesamtbetrieb einnehmen wie jetzt der AKW-Rückbau: Verschwindend gering.
* Wer EZN kritisiert, macht sich den kranken Menschen gegenüber schuldig, die auf diese Produkte angewiesen sind.
Jemand, der etwas unzweifelbar Gutes tut, erwirbt damit nicht zugleich das Recht, andere zu gefährden. Diese Strategie ist schon auf dem Hearing in der Stadthalle nicht aufgegangen: Da hat sich ja unter anderem ein Mann zu Wort gemeldet, und zwar gegen EZN, dessen Bruder in einem Nuklearbetrieb gearbeitet hat und letztendlich an Leukämie gestorben ist. Ganz ehrlich: Möge er in Frieden ruhen!
* Die Anwendung der 2000-Stunden-Regelung ist legal.
Siehe oben. Wobei dies einer der Zweifelsfälle bzw. eine Frage des Ermessens ist – ob hier der Auslegungsspielraum überschritten wurde, können am besten Juristen entscheiden.
* Die Debatte über EZN ist ursächlich daran beteiligt, dass Mitarbeiter EZNs diskriminiert werden.
Das mag tatsächlich richtig sein, obwohl auf meine Nachfrage, wer denn genau von wem genau diskriminiert worden sei, denn dann könne man dagegen vorgehen, keine Antwort erfolgt ist. Selbstverständlich darf keine Diskriminierung geduldet werden! Aber die Debatte ist notwendig. Die unerlässliche Verhinderung bzw. Bekämpfung von abschätzigem bis beleidigendem Verhalten auf allen Seiten steht auf einem anderen Blatt, ist ein zweiter, ebenso wichtiger Schauplatz. Er darf aber die Auseinandersetzung über den Sachstand nicht verhindern.
* Wer den NLWKN kritisiert, kritisiert dessen Mitarbeiter – und das ist unmoralisch.
Was ist daran unmoralisch oder mitarbeiterfeindlich, wenn man äußerst beunruhigende Beobachtungen zur Sprache bringt? Das ist nicht, wie hier offenbar suggeriert werden soll, quasi anarchistisch, sondern im Gegenteil staatstragend. Wir bewegen uns mit der Atomkraft generell auf einem Gebiet, auf dem wir gar nicht genug Suchende und Beobachtende haben können. Darüber sollten wir froh sein! Wer diese Beobachtungen für alle nutzt (und das könnte der NLWKN ja tun), wirkt an unser aller Zukunft mit und wird gewiss entsprechende Würdigung finden.
* Die Opposition wirft dem NLWKN Messwertmanipulationen vor.
Das ist nicht wahr. Es geht hier um Kritik am Verfahren: Ist die Anwendung der 2000- Stunden-Regelung in Ordnung? Ist der Referenzpunkt sinnvoll gewählt? Es ist natürlich theoretisch möglich, dass hier jemand massiv seine eigenen Interessen eingebracht hat. Wer das aber war, und auf wessen Veranlassung, darüber wird durch die bloße Feststellung von Unregelmäßigkeiten noch lange nichts ausgesagt.
* Die Opposition betreibt aus Wahlkampfgründen Panikmache.
Das ist nicht auszuschließen, aber nichts anderes als die jahrzehntelange, ebenso unbegründete Beruhigungspolitik der CDU. Es ist weder Einlullen angesagt noch Panikmache. Dennoch beziehe ich hier Partei, und zwar am aktuellen Beispiel: Wenn man die Panikmache abzieht (Erwähnung von „Atombomben“-Material), bleibt noch immer die Tatsache, dass dieses Material Plutonium ist, also einer der giftigsten Stoffe der Welt! Ich kann gut damit leben, wenn jemand diese Tatsache verwendet, um ein paar Wählerstimmen zu gewinnen, wenn nur endlich (!) jemand verdeutlicht, wie zynisch hier mit der Bevölkerung umgegangen wird.
* Die Nähe zu Wohngebiet und Schulen haben nicht CDU und FDP zu verantworten, sondern die SPD.
Selbst wenn – was soll das aussagen? Dass die Situation deswegen in Ordnung ist? Es ist weitaus sinnvoller, den Standort zu kritisieren, statt Schuldige für die Misere zu suchen.
* „Einige wenige“ (also die BISS?) kritisieren EZN und bezeichnen sich selbst als „Aktivisten“.
Hier wird suggeriert, die Kritiker EZNs seien Kriminelle – das nenne ich mal eine leicht durchschaubare FUD-Kampagne. Wer‘s glaubt, mag‘s glauben; wer nicht, kann gern vorbeikommen, um uns kennenzulernen. Wir sind aktiv, nicht aktivistisch, und wir nennen uns auch nicht so.
* Sachlichkeit ist gefordert!
Ja. Definitiv. Aber keine, die bestimmte, tatsächlich sehr wichtige Punkte derart überbetont (Medizin), dass man annehmen muss, hier würden kranke Menschen instrumentalisiert, und die im gleichen Atemzug andere Stichworte völlig ausklammert (Gefahrenpotential von Plutonium, Standortfrage, Nachweise von faktischen Grenzwertüberschreitungen). Wir erwarten von allen Beteiligten Sachlichkeit: Alle Aspekte müssen bedacht werden, und zwar mit schonungsloser Ehrlichkeit und ohne strategische Erwägungen.
Im Grunde könnte man das alles unter einer Überschrift betrachten, die die CDU selbst lieferte, und zwar in der Antwort auf die zuvor selbst gestellte rhetorische Frage, ob es klug wäre, bekannt zu geben, welche besonders gefährlichen Stoffe denn nun im Thuner Wohngebiet lagerten. Unbeeindruckt offenbar von der Tatsache, dass der Zuhörer sich unweigerlich fragt, was denn noch Gefährlicheres zutage gefördert werden könnte als die Verwendung von Plutonium, ging es weiter: Natürlich wäre das unklug, denn bekanntermaßen sei Siegfried in der Nibelungensage durch sein Drachenblutbad überall geschützt gewesen, von einer Ausnahme abgesehen – und diese Schwachstelle hätte schließlich zu seinem Niedergang geführt, ebenso wie das ja bei EZN… Terrorgefahr impliziert… und so weiter… Ein besonders gelungener Vergleich: Also Nibelungentreue? Ach nein, -sage.
Nach dieser äußerst ausführlichen, weil meiner Meinung nach leider notwendigen Auseinandersetzung mit den Ansichten der Regierungsparteien möchte ich jetzt kurz, aber dafür knackig und mit großem Dank für die teilweise leidenschaftlich und mit persönlichem Engagement geführte Debatte einfach das anführen, was mir besonders gefallen hat. Um jetzt meinerseits keinen Wahlkampf zu betreiben, sondern den Fokus auf der Sache zu behalten, nenne ich keine Parteien, sage aber ausdrücklich dazu, dass mir jede einzelne der Oppositionsparteien imponiert hat. Allerdings gebe ich zu, dass ich meine Zweifel daran habe, dass bloße Transparenz, wie eine Partei sie forderte, ausreichen würde, um das Problem zu lösen: Man stelle sich vor, es würde transparent, dass noch weit größere Mengen oder gar noch gefährlichere Stoffe bei EZN lagern, als wir bislang wissen – das ist mittlerweile mehr als wahrscheinlich. Da könnte man doch nicht allen Ernstes stehenbleiben und sagen „Nun ist es raus, ist ja fein, dann können die ja weitermachen, sie haben sich ja „geoutet“!!! Jedenfalls hat mir folgendes so richtig gut gefallen:
- Die Forderung, nicht nur ein Krebsregister, sondern auch ein Geburtenregister einzuführen. Der Verdacht, dass im Nahbereich von EZN mehr Jungen geboren werden, als statistisch zu erwarten wäre, steht seit langem im Raum und wird auch ohne die Berücksichtigung von eventuell unbekannt bleibenden Abtreibungen mehr als deutlich. Leider kann daraus keine statistische Relevanz erwachsen, weil einfach nicht genügend Menschen hier leben. Aber ein valides Indiz wäre es dennoch!
(Ich frage mich sowieso, was man hier mit Statistiken will. Konstruiertes Beispiel: Im direkten Nahbereich einer Firma, die mit unbekannten Giften hantiert, leben 500 Menschen, also eindeutig zu wenige für statistische Plausibilität. Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn alle 500 sterben würden, hätte das für unsere Freunde von der Wahrscheinlichkeitserfassung und Gleichmacherei aller Gegebenheiten keinerlei Relevanz!) - Die Bemerkung, die PR-Abteilung EZNs hätte keine passenderen Formulierungen finden können als zuvor die CDU (ausschließliches Eingehen auf Medizinprodukte, moralischer Druck…).
- Die Aussage, dass auf die eigentliche Anfrage bzw. die dieser zugrundeliegenden Fragen überhaupt nicht eingegangen wurde.
- Die Ansage, in einem Wohngebiet sei die bereits bekannte Gefahrenlage schlichtweg nicht hinnehmbar.
Angesichts des argumentgestützten Engagements, das hier an den Tag gelegt wurde, empfinde ich es persönlich als unnötig und schade, dass es selbst bei dieser brisanten Angelegenheit noch Menschen gibt, denen Fraktionszwang und Parteiraison wichtiger erscheinen als der Blick hinter die Kulissen, hinter das PR-Gebäude aus vorgeschobenen Schuldgefühlen und moralischem Druck. Meiner Meinung nach sollten alle an einem Strang ziehen: Ohne Schuldzuweisungen an die Menschen, die damals wie heute die Genehmigungen erteilt haben, aber mit der Einsicht darin, dass legal und legitim völlig unterschiedliche Dinge sind, manchmal ebensoweit voneinander entfernt wie Recht und Gerechtigkeit.
Die Genehmigungen sind zu hoch und müssen heruntergesetzt werden. Vorratsgenehmigungen sind meines Wissens ohnehin nicht gestattet: Wie können sie hier geduldet werden? Der Fokus muss weg von Aspekten, die mit gemeinsamer Planung auch anderweitig gelöst werden können (z.B. der Verhinderung von Diskriminierung oder der Sicherung von Arbeitsplätzen). Stattdessen müssen wir endlich auf die größeren Zusammenhänge schauen.
Wir sollten dafür Sorge tragen, dass die Medikamente weiterhin produziert werden können, und zwar mit deutlich niedrigeren Werten „am Zaun“, und dass endlich (!) verboten wird, neben Wohnhäusern mit Stoffen wie Plutonium zu hantieren. Falls allerdings dieser Stoff auch für die medizinische Produktion vonnöten ist, und so sieht es mittlerweile aus, muss man wohl leider in den sauren Apfel beißen und auch in diesem Bereich den Betrieb verlagern. Ich bin nicht glücklich über diese Aussage, kann diesen Punkt aber nicht anders sehen. Kein Kernbrennstoff, egal in welchen Mengen, in Lebensräumen: Vielleicht wird daraus ja sogar ein Gesetz? Ich hoffe es.