Das hätte vermieden werden müssen und können – so lautete das Fazit eines Interviews, das Radio Okerwelle am Dienstag mit Mitgliedern der BISS führte und dessen Inhalt wir hier sinngemäß wiedergeben. Gemeint ist die verzwickte Lage, in die die schwache Vorstellung ihres Fachanwalts vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Stadt Braunschweig gebracht hat. Aus Sicht der BISS hat die Stadt vor der Klagewut des Eckert & Ziegler-Konzerns kapituliert, sich aber zuvor in zwei Prozessen nicht ein einziges Mal angemessen präsentiert.
Verzicht auf Strahlenschutz
Am Montag war das Rathaus ein Bienenschwarm: Die Informationen flogen beim eilig einberufenen Planungs- und Umweltausschuss nur so hin und her. Wer sich in der Materie auskannte, war geladen – wer nicht, musste versuchen, sich schnell einzuarbeiten. So mancher war deshalb offensichtlich von den Ausführungen des städtischen Anwalts überfordert. Die Situation war für alle prekär, blieben doch nur wenige Tage Zeit, um eine angemessene Lösung zu finden und zu entscheiden: Wird Braunschweig das Gerichtsurteil anfechten und Revision einfordern? Und: Wird die Stadt einen neuen Bebauungsplan aufstellen?
Dieser Punkt ist heikel, will die Stadt doch den Aspekt Strahlenschutz im aktuell diskutierten ganz neuen Bebauungsplan nicht mehr berücksichtigen. Damit verzichtet sie bereits vor dem Aufstellungsbeschluss auf den Schutz der Bürger. Diesen Schritt hatte das Gericht nicht eingefordert, die Stadtverwaltung will ihn dennoch durchsetzen. Letztlich wurde das Problem verschoben: Entscheiden soll nun der Rat in öffentlicher Sitzung am Dienstag, 21. Februar 2017.
Mittelpunkt Atommüll: Modernisierung und Medizin als Feigenblätter
Zwar wurde die Modernisierung vor Gericht als Grund für den Bau der neuen Halle vorgebracht; gegenüber Aktionären präsentierte Eckert & Ziegler sich jedoch als Einsteiger ins große Geschäft mit dem Atommüll. Zieht man zusätzlich in Betracht, dass die Medizinsparte (Eckert & Ziegler Nuclitec) seit 2015 eine 100%ige Tochter der Atommüllsparte (Eckert & Ziegler Umweltdienste) ist, wird klar, worum es hier eigentlich nur gehen kann: Der Atommülldienstleister verwendet die Medizinsparte als nützliches Anhängsel zum Durchsetzen ihrer Pläne zu Ungunsten der Bevölkerung.
Dieser Verdacht wird gestützt von der Tatsache, dass die Bundesregierung den Standort Braunschweig im Nationalen Entsorgungsprogramm und seit spätestens 2009 immer wieder in offiziellen Berichten als nur eine von 5 Konditionierungsanlagen benennt. Dabei geht es um eine Verarbeitungsmasse, die 10 Mal größer ist als die jetzige.
Die offizielle Ankündigung Eckert & Zieglers, die enorm hohen Genehmigungen zu 100 % ausnutzen zu wollen, passt hier ins Bild: Die Genehmigungen sind teilweise so hoch wie bei Castorlagern. Möglichkeit und Absicht sind offensichtlich vorhanden, nur die (teils widersprüchlichen) öffentlichen Aussagen klingen anders.
Richter wirkte wie Anwalt Eckert & Zieglers, Versäumnisse der Stadt
Die Widersprüchlichkeit der Aussagen Eckert & Zieglers kam vor Gericht jedoch nicht zur Sprache. Stattdessen wirkte der Richter wie ein Anwalt des Unternehmens: Er schlug verbal auf die Stadt Braunschweig ein, während Eckert & Ziegler einfach schweigen konnte.
Der Richter warf der Stadt Braunschweig vor, sie habe Gutachten gefordert für nicht genau Definiertes, habe nicht nachvollziehbare Regeln festgelegt (Was ist Produktions- oder Kapazitätserweiterung? Wann ist eine Bebauungsmaßnahme begonnen worden, wann muss ein Gutachten dafür geliefert werden und welcher Art muss dieses sein?). Letzteres steht jedoch üblicherweise auch gar nicht in Bebauungsplänen, weil es situationsabhängig ist.
Der Richter zog insgesamt das Fazit, Braunschweig habe keine Bewertungsgrundlagen geliefert. Genau diese hatte die BISS, ebenso wie die Definition von „Produktionserweiterung“ und „Kapazitätserweiterung“, immer wieder eingefordert.
Fehlerhafte Grundlage: Die Stadt knickt ein
Der Richter warf der Stadt vor, man habe den Firmen Gewerbegebiete weggenommen. Diese sind jedoch seit 40 Jahren in der Hand der umliegenden Landwirte und wurden nie bebaut. Der angeblich weggenommene Transportweg ist aber ein nie befahrener Landwirtschaftsweg. Das sind nur zwei Beispiele für viele Punkte dieser Art.
Im Planungs- und Umweltausschuss ging es um die Frage, wie man mit dem Lüneburger Urteil am besten umgehen kann. Die Vorlagen der Verwaltung machten jedoch schon klar: Die Stadt knickt ein.
Was ist denn nun mit dem Strahlenschutz?
Das Gericht hat nämlich keineswegs gefordert, dass die Stadt auf den Strahlenschutzaspekt verzichtet! Im Gegenteil, der Richter wiederholte das, was ein Rechtsgutachten im Auftrag der BISS vor Jahren schon verdeutlichte: Die Stadt darf und muss (!) den Strahlenschutz in ihrer Bauplanung zum Schutz der Bürger berücksichtigen. Leider hat das Gericht dies nicht entschieden oder als Entscheidungsgrund formuliert, sondern nur darüber „philosophiert“. Dies gilt in diesem Fall für alles, was Strahlenemissionen angeht. Weil aber keine Entscheidung vorliegt, kann man auch nicht dagegen vorgehen.
Entschieden hat das Gericht auf Basis vieler kleiner Entscheidungen der Stadt, die angeblich die Firmeninteressen zu stark einschränkten. Selbst der Anwalt der Stadt Braunschweig sagte am Montag im Planungs- und Umweltausschuss, man könne aus dem Urteil eine Priorisierung der Firmeninteressen gegenüber den Schutzinteressen der Bevölkerung herauslesen. Dies entspricht dem, was bereits vor dem Urteil im Geschäftsbericht des Oberverwaltungsgerichts zu lesen war: „Sie [Eckert & Ziegler, Anm. BISS] sehen ihre berechtigten wirtschaftlichen Interessen ohne zureichenden Grund eingeschränkt; namentlich Schutzinteressen der benachbarten Wohnbevölkerung rechtfertigten so weitgehende Einschränkungen nicht“ [Hervorhebungen BISS].
Ein zureichender Grund liegt jedoch offensichtlich vor. Die Stadt hätte ihn nur einbringen müssen und tut dies hoffentlich im neuen Aufstellungsbeschluss für den zweiten neuen Bebauungsplan.
Ausbau des Gieselwegs zu Waller See und A2: Stadt prescht grundlos voraus
Plötzlich ist sie wieder da: Die Idee einer Anbindung des Nukleargeländes an die A2 über das Industriegebiet Waller See. Eingebracht hatte sie aktuell der Richter in Lüneburg – allerdings ohne sie zu fordern. Die Stadt will nun jedoch diese Pläne wieder diskutieren, die vor Jahren in der Mottenkiste verschwanden, als deutlich wurde, dass der Öffentlichkeit diese Zusatzbelastung nicht mehr vermittelbar war.
Diese Anbindung ändert zudem nichts an der Nähe der neuen Halle zur Wohnbebauung. Dennoch empfiehlt die Verwaltung den Verzicht auf ein Revisionsverfahren. Dieses könnte jedoch trotz wenig Aussicht auf Erfolg zeitlichen Aufschub bringen, den Braunschweig dringend nötig hat. Viele Ratsmitglieder sind in die Materie nicht eingearbeitet, und selbst wer sich auskennt, kann und sollte nicht innerhalb weniger Tage derart weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Gerade dann nicht, wenn alle begriffen haben: Es geht ums Ganze. Man muss jetzt vernünftige, nachhaltige Entscheidungen treffen, sonst haben wir hier das Atomklo Norddeutschlands.
Wenn EZN sich beliebig erweitern kann, weil jegliche Einschränkung der Strahlenemission aus dem Bebauungsplan herausgenommen werden, wenn in vorauseilendem Gehorsam Dinge getan werden, die nirgendwo gefordert wurden, hat Braunschweig verloren.
Erster Atommüll-Wohnort der Republik
Wir sind auf dem Weg zum ersten Atommüll-Wohnstandort Deutschlands. Das darf nicht sein, lässt man gesunden Menschenverstand walten. Diese Weichenstellung, die mit jedem Tag schwerer zu ändern ist, hat Braunschweig sich jedoch selbst zuzuschreiben: Die Stadt hat vor Gericht wichtige Punkte nicht benannt und zugleich sachliche Fehler nicht berichtigt.
Nur so konnte das Gericht die Firmeninteressen über den Schutz der Menschen stellen. Wohin steuert die Stadt? Folgt sie noch ihrem eigenen Willen, oder ist es das Interesse des Bundes? Warum sucht Braunschweig sich keinen neuen Anwalt, keine politischen Verbündeten in der Region, die droht, zum atomaren Schuttabladeplatz zu werden?
Die Stadt muss handeln
Gefordert sind ein anderer Rechtsbeistand und mehr Elan. Bislang hat die Stadtverwaltung sich trotz BISS-Forderungen nicht aktiv um die Klärung der Situation bemüht. Sie muss jetzt endlich in Hannover beim Landesumweltministerium Druck ausüben, damit entschieden wird, was man dort seit Jahren prüft: Sind die enorm hohen Umgangsgenehmigungen überhaupt rechtskräftig? Kann man sie einschränken? Darf es am Standort überhaupt eine Atommüllkonditionierung Dritter geben? Weder der BISS noch auf Nachfrage der BISS dem Landesumweltministerium ist eine solche Genehmigung bekannt.
Nicht zuletzt der Antrag von AnwohnerInnen auf Rücknahme der Strahlengenehmigungen bietet jede Menge Argumente dafür, dass die Genehmigung nicht rechtskräftig ist. Außerdem hat die BISS, mit juristischem Beistand, ausreichende Argumente dafür geliefert, warum die Bauleitplanung eine Baugenehmigung einer solchen Halle an diesem Standort überhaupt nicht erteilen muss. Die Stadt sollte diese Argumente dringend aufgreifen.
Fachliche und juristische Unterstützung angeboten
BISS bietet der Stadt nach wie vor Unterstützung an. Die Stadt darf nicht einknicken vor einer Firma, die sie, wie der Anwalt der Stadt sinngemäß sagte, „rechtlich in die Zange genommen hat, so dass die Stadt nicht mehr anders kann“ – darauf darf sie sich nicht ausruhen, denn sie selbst hätte das vermeiden müssen. Jetzt muss sie aktiv handeln und endlich die Menschen hier schützen!