Fehlerhafte Annahmen, falsche Argumente und irrwitzige Schlussfolgerungen. Umweltminister Olaf Lies weigert sich mit dem Hinweis auf „anormalen Betriebszustand“, die fehlerhaften Grundannahmen in der Störfallanalyse der Atomfirmen zu überprüfen.
Eine (Real-)Satire und ihr Hintergrund.
2012 haben die beiden Braunschweiger Atomfirmen Eckert & Ziegler und GE Healthcare Buchler jeweils eine Störfallanalyse in Auftrag gegeben. Im Rahmen der Recherche von „Panorama 3“ konnte auch die BISS e.V. einen Einblick in diese bislang immer noch geheim gehaltenen Dokumente werfen. Hier wurde deutlich: Beide Störfallanalysen sind in weiten Teilen identisch – sogar wortgleich.
In der Störfallanalyse wurden mehrere Unfallszenarien betrachtet. Das Szenario, in dem die wenigsten Annahmen getroffen werden mussten und durch das somit prinzipiell die Auswirkungen am genauesten vorhergesagt werden können, war der „Präparateabsturz“, weil der Umfang des betroffenen radioaktiven Inventars exakt angegeben werden kann. Bei allen anderen Unfallszenarien mussten zahlreiche Zusatzannahmen getroffen werden, sodass hier die Unsicherheit wesentlich größer ist hinsichtlich der Frage, was im Fall eines Falles tatsächlich an Radioaktivität betroffen wäre und freigesetzt würde.
Im November 2017 gab es bei GE Healthcare Buchler einen Unfall, bei dem tatsächlich Radioaktivität freigesetzt wurde. Dieser Unfall ist am ehesten mit dem Szenario des „Präparateabsturzes“ vergleichbar. Während bei der Betrachtung des Präparateabsturzes jedoch davon ausgegangen wurde, dass maximal 18,5 GBq radioaktives Jod-131 betroffen sein könnten, wurden im November 2017 tatsächlich 314 GBq radioaktives Jod-131 verschüttet.
Umweltminister Lies lässt aufgrund dieser Diskrepanz jedoch nicht die Störfallanalysen der Atomfirmen grundlegend durchleuchten, sondern wiegelt hier mit einem äußerst fadenscheinigen Argument ab: Beim Unfall im November 2017 hätte es sich um einen „anormalen Betriebszustand“ gehandelt und nicht um einen Störfall. Daher würde ein Vergleich mit dem Szenario des „Präparateabsturzes“ nicht vorgenommen.
Laut Aussage des renommierten Strahlenschutzexperten und Mitglieds der deutschen Strahlenschutzkommission Dipl-Phys. Küppers handelt es sich hier um Wortklauberei. Das leuchtet auch sofort ein, denn: Auch das „Präparateabsturz“-Szenario der Störfallanalyse wäre hinsichtlich der erwarteten Auswirkungen nur ein „anormaler Betriebszustand“.
Noch einmal in aller Kürze: 2012 wurde eine Störfallanalyse erstellt, in der verschiedene Unfall-Szenarien untersucht wurden. Und: Es gab tatsächlich einen Unfall. Bei diesem tatsächlichen Unfall war wesentlich(!) mehr radioaktives Jod betroffen als im vergleichbaren Unfall-Szenario der Störfallanalyse angenommen wurde. Die Radioaktivität in der Störfallanalyse wurde somit erheblich unterschätzt.
Wir fragen: Wieso übernimmt Minister Lies hier unkritisch die absurde (falsche) Argumentationslogik der Braunschweiger Atomfirmen? Wieso wird die Störfallanalyse nicht noch einmal genauestens überprüft, wenn selbst exakt anzugebende Radioaktivitäts-Werte komplett unterschätzt werden?