26.01.2022 Branche
Anlässlich des Plans der EU-Kommission, Atomkraft als nachhaltig
einzustufen, hat Versicherungsmagazin Matthias Land aus dem Ausschuss
Schadenversicherung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) um eine
Einschätzung gebeten.
Die EU-Kommission plant, neben Gas auch Atomkraft als nachhaltiges
Investment einzustufen. Dabei gilt diese Form der Energieerzeugung als
nicht versicherbar. Kurz nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011
veröffentlichten die Versicherungsforen Leipzig eine Studie, wonach die
Haftpflichtpolice 19,5 Milliarden Euro jährlich kosten müsste, pro
Kraftwerk und bei einer Bereitstellung der gesamten Versicherungssumme
nach 100 Jahren. Sie haben sich die Untersuchung für uns noch einmal
angesehen. Wie schätzen Sie das Ergebnis heute ein?
Das Ergebnis ist valide. Eine Besonderheit der Studie ist die
Bandbreite, mit der gearbeitet wurde. Zugrunde gelegt wurde eine
mittlere gesamt zu zahlende Versicherungssumme von 6.090 Milliarden
Euro. Bei einer Weitergabe der Versicherungskosten an den Verbraucher
würde sich, je nach Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadenfalls, der
Preis für Atomstrom laut den Berechnungen von 0,139 Euro auf bis zu 2,36
Euro je Kilowattstunde erhöhen. Das entspricht einem Plus von 46 bis 780
Prozent. Selbst die Untergrenze ist schon eine Ansage.
Auftraggeber der Studie war der Bundesverband Erneuerbare Energien.
Könnte das Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben?
Ich kann nicht erkennen, dass in eine bestimmte Richtung gearbeitet
wurde. Eine Gegenprobe ist über ein Vehikel des Kapitalmarkts, die
Katastrophen-Bonds, kurz CAT-Bonds, möglich. Die Katastrophe von
Fukushima hat geschätzt zwischen 200 und 300 Milliarden US-Dollar
verursacht. Das Volumen des CAT-Bond-Markts beträgt jedoch nur rund 50
Milliarden US-Dollar. Die Durchschnittskosten, die für einen CAT-Bond
anfallen, werden mittelfristig vielleicht bei fünf Prozent im Jahr
liegen. Bei einem angenommenen Schadenvolumen von 300 Milliarden
US-Dollar würde der CAT-Bond den Emittenten als 15 Milliarden US-Dollar
kosten.
Hinzu kommt, dass CAT-Bonds deshalb gefragt sind, weil sie sich gut zur
Diversifikation eignen, da Naturkatastrophen keinen Abhängigkeiten
unterliegen. Die Sicherheit eines Atomkraftwerks ist hingegen von
verschiedenen Faktoren abhängig, also müsste eine entsprechende
Schaden-Anleihe noch teurer sein.
Was heißt das zusammengefasst für die Versicherbarkeit von Atomkraft?
Man wird keine Lösung finden, die Atomkraftwerke in vollem Kostenrahmen
versicherbar macht. Die DAV sieht die Atomkraft nicht als nachhaltig an.
Und meine persönliche Meinung ist: Eine Technologie kann nicht
nachhaltig sein, bei der wir hoffen müssen, dass bei ihrem Einsatz
nichts passiert.
Das Interview führte Steffi Hüthig.
Matthias Land ist promovierter Mathematiker und gehört dem Ausschuss
Schadenversicherung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) an. Er ist als
Leiter Mathematik bei der Gothaer Allgemeine Versicherung tätig.
Autor(en): Steffi Hüthig