In Gesprächen wird der BISS häufig entgegengehalten, man unterstütze unseren Widerstand gegen Atommüll, aber die Medizinproduktion auf dem Gelände müsse von unserem Protest ausgenommen bleiben. Dabei setzen viele Menschen voraus, dass die Strahlung, die von den Medizinprodukten ausgeht, harmlos sei im Vergleich mit der Strahlung des Mülls aus Atomkraftwerken. Und weil die Medizin unbestritten tatsächlich Menschen helfen kann, weigert man sich unbewusst, den Standort ihrer Produktion infrage zu stellen.
Unbeschadet dessen, dass die Heilung von Menschen in jedem Fall höchste Priorität genießt, wäre es jedoch fatal, eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen „guter“ und „schlechter“ Strahlung zu treffen, denn auch radiologische Produkte setzen erhebliche Strahlungsaktivitäten frei (z.B. Molybdän-99, vgl. dazu unsere Presseerklärung vom März 2013). Gigabecquerel- oder sogar Terabecquerel-Werte sind keine Kleinigkeit! Deshalb werden ja bei Therapien im Krankenhaus auch extreme Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt. Diese Strahlung nicht weniger schädlich als die von Abfällen aus der Atomindustrie.
Dies vorausgesetzt, weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass es uns keineswegs darum geht, die Produktion von Medizinprodukten zu verhindern oder gar kranken Menschen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten gleich gänzlich unzugänglich zu machen. Im Gegenteil! Wir möchten, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, gesund zu werden beziehungsweise es zu bleiben. Und das ist der springende Punkt, denn die Produktion neben Wohnhäusern und Schulen gefährdet Menschen. Welchen Sinn ergäbe es, die Einen zu heilen und dafür das Risiko in Kauf zu nehmen, die Anderen krank zu machen? Ist es nicht weitaus sinnvoller, einen Standort für die Produktion zu wählen, an dem niemand gefährdet wird?
Medizin ist unverzichtbar, und in vielen ihrer Bereiche wird ionisierende Strahlung sinnvoll verwendet, z.B. in der Diagnostik oder im Rahmen lebensverlängernder Maßnahmen bei der Krebsbehandlung (obwohl man in bestimmten Fällen mittlerweile mehr und mehr auf sanftere Methoden setzt). Die Notwendigkeit radiologischer Medizinprodukte ziehen wir keineswegs in Zweifel! Auch die Volumenreduktion von Atommüll und die entsprechende Verpackung, die bei längerfristiger Lagerung die Wahrscheinlichkeit radioaktiver Gefährdung verringert, ist an einem geeigneten Standort durchaus zu begrüßen. Der Standort Thune mit seinen Wohnhäusern, Schulen, KiTa und demnächst dem neuen Jugendzentrum fällt jedoch nicht in diese Kategorie.
Sowohl die Medizintechnik als auch die Atommüllkonditionierung sind für die Gesellschaft relevante und sinnvolle Betätigungsfelder. Unser Protest richtet sich deshalb auch nicht gegen diese Geschäftsfelder an sich. Es geht vielmehr darum, dass der Umgang mit Radioaktivität unbestritten Gefahren mit sich bringt und daher zu einem verantwortungsvollen Umgang neben aktuellen Sicherheitsstandards auch die Frage des Standortes gehört. Und diese Frage ist es, die uns besonders empört, da hier – in direkter Nachbarschaft zur Wohnbevölkerung und in der Nähe zum Schulzentrum mit über 1.000 Schülerinnen und Schülern – in erheblichem Umfang mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird.
Es geht nicht um den Unterschied zwischen Medizintechnik und Atommüllverarbeitung. Es geht um die denkbar unpassendste Lage der Thuner Atomfirmen neben einem Schulzentrum und in einer Wohnsiedlung.