Seitens der Firmen auf dem Gelände und des Gewerbeaufsichtsamtes wird häufig betont, dass die Thuner Anlage strahlungsarm sei und dass sämtliche Grenzwerte eingehalten würden. Dabei werden Sondergenehmigungen mit keinem Wort erwähnt. Deshalb denken viele Menschen, die Thuner Anlage sei ungefährlich, zumal man ja im Alltag auch Röntgenaufnahmen macht und Langstreckenflüge unternimmt. Außerdem strahlen manche Gegenden, auch in Deutschland (z.B. Schwarzwald) von Natur aus recht stark. Da scheint vielen die Niedrigstrahlung, wie sie von GE Healthcare / Buchler und EZN ausgeht, harmlos.
Wir kommen zu einem völlig anderen Schluss und bieten hier einen Überblick über die wichtigsten Informationen:
Die vorliegende Umgangsgenehmigung, die übrigens unbegrenzte Gültigkeit besitzt, erlaubt den Firmen in Thune eine sehr hohe Gesamtaktivität (10hoch18 Bq = Zerfälle pro Sekunde). Das ist über 300 Mal mehr als die Strahlung der 126,000 Fässer in der ASSE (die weisen laut BfS eine Gesamtaktivität von 2,9*10hoch15 Bq auf und betragen damit 0,29% der Thuner Umgangsgenehmigung).
Die Direktstrahlung am Zaun des Firmengeländes ist um ein Vielfaches (10- bis 1000-fach) höher als an den Zwischenlagern Grohnde, Krümmel, Philippsburg, Lingen, IsarI/Ohu, Gundremmingen, Biblis sowie den AKWs Stade, Grafenrheinfeld, Unterweser, Karlsruhe. Um dennoch die Grenzwerte einhalten zu können, wird hier – anders als an Zwischenlagern oder AKWs – eine sogenannte 2000-h-Regelung angewendet: Von den 8750 Stunden im Jahr werden nur 2000 Stunden berücksichtigt, d.h. die tatsächlichen Messwerte werden durch 4,38 geteilt, bevor man sie berücksichtigt. Zum Vergleich: Durch diese Regelung erlaubt das Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig am Zaun der Thuner Industriebetriebe eine mehr als 14-mal so hohe Direktstrahlung, wie am Castor-Zwischenlager in Gorleben erlaubt ist (dort gelten 0,3 mSv pro Jahr als Grenzwert) – trotz der Nähe zum Schulzentrum und der Wohnsiedlung.
Auch die Abluftgenehmigungen sind ein nicht zu unterschätzender Faktor. So emittiert Eckert & Ziegler nach eigenen Aussagen 900.000 m3 Abluft pro Tag. Für verschiedene Nuklide liegen den Thuner Firmen spezielle Abluftgenehmigungen vor, die deutlich über den in der Strahlenschutzverordnung genannten Grenzwerten liegen.
Folgende Tabelle belegt das ganz klar:
a.) Aktivität in 24 Stunden:
EZN darf laut Genehmigung bei den folgenden Nukliden hinsichtlich der 24-stündigen Aktivitätskonzentration ein Vielfaches dessen emittieren, was nach StrlSchV in Tabelle 4 als Höchstwert im Jahresmittel vorgesehen ist:
– H-3: das 100-fache der StrlSchV
– I-125: das 40-fache der StrlSchV
– I-131: das 6-fache der StrlSchV
– Am-241: das 250-fache der StrlSchV
– Kr-85: das 125-fache der StrlSchV
GE Healthcare darf laut Genehmigung bei den folgenden Nukliden hinsichtlich der 24-stündigen Aktivitätskonzentration ein Vielfaches dessen emittieren, was nach StrlSchV in Tabelle 4 vorgesehen ist:
– I-125: das 40-fache der StrlSchV
– I-131: das 60-fache der StrlSchV
b.) Maximal zulässige Aktivität pro Jahr:
EZN darf laut Genehmigung bei den folgenden Nukliden ein Vielfaches dessen emittieren, was nach StrlSchV als maximal zulässige Aktivität vorgesehen ist:
– H-3: das 28-fache der StrlSchV
– I-125: das 2,7-fache der StrlSchV
– I-131: das 1,7-fache der StrlSchV
– Am-241: das 21-fache der StrlSchV
– Kr-85: das 7,6-fache der StrlSchV
GE Healthcare / Buchler darf laut Genehmigung bei folgendem Nuklid ein Vielfaches dessen emittieren, was nach StrlSchV als maximal zulässige Aktivität vorgesehen ist:
– I-131: das 6,7-fache der StrlSchV.
Diese Fakten sind für sich schon ein nicht hinnehmbarer politischer Skandal! Wie kann so etwas trotz der sensiblen Nachbarschaft geduldet werden?
Zusätzlich zu dieser Dauerbelastung ist die Bevölkerung um die Thuner Betriebe aber auch noch anderen Strahlenquellen unterschiedlicher Stärke ausgesetzt, beispielsweise beim Röntgen, durch Kontrastmittel, durch therapeutische Strahlenbehandlung, durch Langstreckenflüge oder durch Urlaub in Gegenden, die von Natur aus höher strahlen als andere. Diese Posten summieren sich zu einer unter Umständen erheblichen Belastung. Gerade deshalb sollte die generelle Frage gestellt werden, inwieweit Strahlendosen in der infrage stehenden Höhe Einfluss auf die Gesundheit haben können.
Es gibt eine Reihe deutlicher Hinweise darauf, dass sogenannte Niedrigstrahlung gefährlich ist. Zum Beispiel zeigt Körblein in der Studie „Krebsrate und Säuglingssterblichkeit in Bayern in Abhängigkeit von der natürlichen Hintergrundstrahlung“, dass in den 96 bayrischen Landkreisen sowohl Krebsrate als auch Säuglingssterblichkeit mit der Höhe der Hintergrundstrahlung ansteigen (und zwar auch dann, wenn weitere Einflussgrößen wie Bevölkerungsdichte und Arbeitslosenindex berücksichtigt werden).
Weiterhin hat die KIKK-Studie zweifelsfrei gezeigt, dass im 5-km-Umkreis um AKWs die Krebsrate bei Kleinkindern signifikant erhöht ist. Die Vermutung, dass die Radioaktivität der AKWs dafür verantwortlich ist, liegt nahe. Sowohl das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als auch die Strahlenschutzkommission (SSK) leugnen diesen Zusammenhang jedoch. Ihre Begründung: Die Strahlenbelastung sei zu gering, um die beobachteten Auswirkungen zu zeitigen. Das heißt aber mit anderen Worten nichts anderes als: Man kann sich im Rahmen der bisherigen wissenschaftlichen Denkmodelle keinen Zusammenhang vorstellen. Dass es keinen gibt, konnten weder BfS noch SSK beweisen. Andere vorstellbare Ursachen für die Erkrankungszahlen konnten sie nicht nennen.
Außer den genannten Publikationen liegen noch eine Reihe weiterer Studien vor, die den Verdacht stützen, dass niedrige Strahlendosen Krebs auslösen können. Darüber hinaus haben Laboruntersuchungen aufgedeckt, durch welche Mechanismen bereits niedrige Strahlendosen zu dieser Krankheit führen können (Stichworte: „genomische Instabilität“ und „Bystander Effect“).
Zudem wird auch von offizieller Seite davon ausgegangen, dass es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen radioaktive Strahlung ungefährlich ist. Daher bedeutet letztlich jede Erhöhung der Strahlendosis auch eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos. Auf rechtlicher Ebene gibt es deshalb das sogenannte Minimierungsgebot: Die Strahlenbelastung muss so niedrig gehalten werden wie möglich.
Genau das geschieht in Thune aber nicht. Man setzt uns mal hier, mal da einer weiteren Dosis Niedrigstrahlung aus und suggeriert, das bisschen Zusatzstrahlung sei harmlos. Das ist sie aber nicht, und deshalb wehren wir uns gegen dieses vermeidbare Risiko.
An einem anderen Standort weit weg von Wohnhäusern und Schulen könnte mit deutlich niedrigerem Risiko für die Bevölkerung produziert werden. Die Direktstrahlung, die Neutronenstrahlung sowie die Nuklidbelastung durch Abluft und Abwasser fielen deutlich niedriger aus. Die Gefährdung durch Transporte radioaktiver Stoffe wäre signifikant geringer, weil nicht immer dieselben Personen (direkte Anwohner) jeder Vorüberfahrt ausgesetzt wären und weil die Wahrscheinlichkeit sinken würde, einem solchen Transporter an der benachbarten Tanksäule zu begegnen.
Wer die Firmen umsiedelt, erhält die Arbeitsplätze und wird damit zugleich seiner Verantwortung gegenüber der Bevölkerung gerecht. Wir hoffen, dass das der Weg ist, auf dem der Norden Braunschweigs sich befindet!