Das war ein großartiger Anblick am Samstag: Weit mehr als 2000 Menschen umzingelten das Thuner Gelände und schlossen die Kette. An der Harxbütteler Straße, auf dem Feld, am Kanal, auf dem Kanal, sogar auf der Brücke – zu Fuß, auf dem Rad, per Boot oder mit dem Trecker.
Dabei stammte der größte Teil der Mitwirkenden direkt aus der Gegend. Und das in einem Stadtbezirk, der nicht gerade für Demonstrationsfreudigkeit steht! Wie konnte es zu diesem bemerkenswerten Zeichen kommen?
Nun, sicherlich haben die Umstände der Gerichtsverhandlung am vergangenen Mittwoch vielen den Antrieb gegeben, trotz nieseligen Wetters den Weg zum Gelände zu finden:
1. Im Gegensatz zu einigen Journalisten und mindestens einer weiteren Persönlichkeit aus der Politik erhielten sowohl BISS als auch BiBS (und damit der Teil der Öffentlichkeit, der am ehesten im Ruf steht, bezüglich EZN auch unbequeme Tatsachen zu veröffentlichen) auf Nachfrage bei zuständigen Stellen im Vorfeld die Auskunft, man wisse nichts von einer solchen Verhandlung am betreffenden Tag. Ist es da nicht naheliegend, dass die Verhandlung ohne Wissen oder gar Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden sollte?
2. Dieser Umstand steht zusätzlich im Widerspruch zur Zusage der Verwaltung, den Rat über alle wichtigen Belange bezüglich EZN zu informieren.
3. Der zuständige Richter verhielt sich seiner Aufgabe gemäß neutral, aus unserer Sicht sogar sehr fair: Mehrmals baute er der Verwaltung verbale Brücken, die offensichtlich auf die Nennung des Ermessensgrundes „radioaktive Gefährdung“ zielten. Dieser wäre, so hat es das BISS-Rechtsgutachten gezeigt, rechtlich zulässig und sogar verpflichtend gewesen. Aber die Stadt betrat diese Brücke nicht.
4. Auch wäre es ein Leichtes gewesen, an dieser Stelle nicht nur von Abfall, sondern von radioaktivem Abfall zu sprechen. Die Stadt dagegen verteidigte sich äußerst zurückhaltend bis gar nicht und blieb dabei innerhalb der allerengsten Grenzen des Baurechts: Dort wird, lässt man die weitergehende Ansicht des BISS-Gutachtens außer acht, nämlich nicht diskutiert, dass ein Standort strahlt; da wird es im Gegenteil als Pluspunkt gewertet, dass der (Nuklear!-)Betrieb nicht staubt und nicht lärmt!
5. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Stadt diesen Prozess verlieren wollte.
6. Der EZN-Vertreter leugnete nicht, dass es zu einer Erweiterung kommen könnte.
7. Der Termin der Verhandlung lag aus Sicht der Befürworter einer Erweiterung äußerst günstig: Um 14 Uhr wurde das Urteil verkündet (die Verhandlung hatte um 9 Uhr begonnen), während um 15 Uhr desselben Tages der Planungs- und Umweltausschuss seine Sitzung eröffnete, innerhalb derer ursprünglich ein Antrag mit vier Unterpunkten, die uns sehr weitergebracht hätten, auf der Tagesordnung stand.
8. Von den Teilnehmern des PlUA war niemand während der Verhandlung anwesend, und auch sonst lediglich ein einziges Mitglied des Stadtrates (von der BiBS-Fraktion). Das zeigt den Stellenwert, den diese Verhandlung für unsere Vertreter offenbar hatte. Natürlich können sie nicht überall sein, natürlich haben sie viel zu tun – aber hier ging es direkt um den Bau der neuen Halle, die uns alle bedroht und die jetzt mit ziemlicher Sicherheit gebaut werden wird! Dafür sollte man doch wohl einen stressigen Tag in Kauf nehmen können. Die anwesenden BISS-Mitglieder haben das jedenfalls getan.
9. Das Ende vom Lied: Der PlUA meldete Beratungsbedarf an (wie oft denn noch?) und verschob angesichts der neuen Sachlage, die durch das Urteil entstanden war, die Behandlung der Anträge, weil ja „nichts davonliefe“. Bei dieser Aussage lag die Fassungslosigkeit der Besucher geradezu greifbar in der Luft.
ES LÄUFT SEHR WOHL ETWAS DAVON, NÄMLICH DIE ZEIT! FÜR WIDERSPRUCHSMÖGLICHKEITEN GIBT ES FRISTEN MIT EINEM ZEITFENSTER VON WENIGEN WOCHEN. GEHT MAN NICHT IN BERUFUNG, MUSS ERNEUT ÜBER DEN SONDERANTRAG ENTSCHIEDEN WERDEN, DESSEN ABLEHNUNG DAS GERICHT ZURÜCKGENOMMEN HAT.
DABEI GEHT ES UM DIESELBE HALLE, WEGEN DER 2011 DIE VERÄNDERUNGSSPERRE BESCHLOSSEN WURDE.
WENN HIER NICHT DAS RECHTSGUTACHTEN DER BISS BERÜCKSICHTIGT WIRD UND NIEMAND DIE NUKLEARNUTZUNG UND DEREN UNVEREINBARKEIT MIT DER WOHNNUTZUNG INS SPIEL BRINGT, WIRD DIE HALLE GEBAUT.
DANN HÄTTE DIE STADT KEINERLEI MITSPRACHERECHT MEHR, ALLES LÄGE BEI LAND UND BUND. UND WAS DER BUND WILL, IST KLAR: WIR GELTEN SCHON JETZT ALS KONDITIONIERUNGSANLAGE UND ALS ZWISCHENLAGER UND SOLLEN NOCH ERWEITERN.
Angesichts dieser Sachlage wirkt der Änderungsantrag der Grünen im PlUA, der beschlossen wurde und der die Verwaltung bittet, das BISS-Gutachten zu prüfen und sich dazu zu äußern, eher wie Kosmetik. Die Verwaltung wird, sofern sie dies wünscht, einen Weg finden, bis zur nächsten Ratssitzung nichts oder nur ein Blendfeuer vorzulegen.
Es wird Zeit, dass unsere Ratsmitglieder über ihren Schatten springen und auf unser Gutachten setzen, das der Anwalt der Stadtgrünen bereits bestätigt hat. Selbst diejenigen, die noch daran glauben, dass es lediglich um eine Modernisierung der Medizin geht, müssen einsehen, dass der Standort absolut ungeeignet ist.
Tatsächlich war die Terminierung der Menschenkette auf Samstag ein riesiger Glücksfall für uns: Zeigt sie doch kurz vor Ultimo, dass viele Menschen hier gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Erweiterung zu verhindern. Hoffentlich wirkt das auch auf den Stadtrat ansteckend. Wir werden ihn bei der nächsten Sitzung anfeuern. Und bei der übernächsten, und bei der überübernächsten.
Wie unsere Freunde aus Duisburg, die am selben Tag demonstrierten und bei denen auch eine Konditionierungsanlage neben Wohnhäusern steht, geben wir keine Ruhe mehr.
Atommüll stinkt nicht.
Geld, das man damit im Wohngebiet verdient, stinkt offenbar auch nicht.
Aber uns, uns stinkt’s gewaltig.