Wie vom anderen Stern

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Ihr Gesprächspartner sich in einer anderen Dimension befindet, und zwar in einer Dimension, in der völlig andere Parameter gelten als in Ihrer Welt? – Die Braunschweiger Verwaltung verfolgt offenkundig im geschützten Elfenbeinturm einen Weg, der ihre Bürger massiv benachteiligt, Gesundheit und Eigentumswerte gefährdet und von Bürgern mit Sachkunde und Rechtsexpertisen als ungeeignet abgelehnt wird.

Bezirksrat Wenden-Thune-Harxbüttel, 18.11. 2014, sechs Thuner Themen zwischen 18:00 und 22:15 Uhr. Ein wenig erstaunte es, dass man zwar den Punkt „Veränderungssperre“ vorzog, um den zuständigen Vertreter der Verwaltung nicht unnötig lange warten zu lassen, dass man dann aber den Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes erst um kurz nach 22 Uhr (und nach erwartungsgemäß langwierigen Haushaltsentscheidungen) verhandelte – zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Zuschauer, die extra wegen des Antrags vor der Sitzung demonstriert hatten, bereits nach Hause gegangen. Das hätte man anders regeln können. Weitaus unangenehmer jedoch erschien etwas anderes.

Die Antworten der Verwaltung liefen teils derart am gesunden Menschenverstand vorbei, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich Unmutsäußerungen nicht verkniffen. Auf einen entsprechenden Hinweis des Bezirksbürgermeisters reagierten sie gelassen – die Botschaft war ja angekommen: Das Grummeln wurde laut.

Verwaltung mauert

„Wir dürfen nicht einseitig Meinungen der Bürger berücksichtigen, und auch nicht einseitig die Interessen der Firmen.“ Dieser Satz des anwesenden Vertreters der Verwaltung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Zum einen handelt es sich keineswegs um bloße „Meinungen“ der Bürger, die hier Berücksichtigung finden müssten. Es sind stichhaltige Argumente und der berechtigte Anspruch auf ein sicheres Wohnumfeld. Offenbar sieht das aber nicht nur die Verwaltung anders: Als die Rede darauf kam, dass in Thune ein höheres Risiko für die Anwohner vorliegt als an einem Atomkraftwerk, kam Unruhe in die CDU. Der Vertreter des Bezirksrates, auf dessen Äußerung sich dies bezog, konterte: Er habe lediglich aus dem städtischen Restrisikogutachten zitiert. Das wird offenbar trotzdem ignoriert.

Zum anderen ist bemerkenswert, dass die Bürgerinteressen im Entwurf des neuen Bebauungsplans überhaupt gar nicht sichtbar werden. Die vorgebliche Ausgewogenheit, die der Vertreter der Verwaltung zu suggerieren versuchte, ist geheuchelt. In der Begründung des letztlich einstimmig angenommenen Antrags des Bezirksrats auf Änderung des B-Plan-Entwurfs heißt es entsprechend:Die von der Verwaltung vorgeschlagenen Festsetzungen optimieren die Bedingungen für die am Standort ansässigen Firmen und verschlechtern eindeutig die jetzige Situation für die Wohnbebauung.“

Die Einwohner von Braunschweigs Norden scheinen der Verwaltung dabei offensichtlich sogar weniger wichtig als andere, heißt es in o.g. Begründung doch weiter: „Es ist keineswegs so, dass ein in Braunschweig üblicher Standard angewandt wird.“

Dass Eckert & Ziegler sehr klagefreudig ist, lässt sich nicht leugnen. Aber das darf nicht dazu führen, dass man jeglichen Konflikt meidet. Genau das geschieht hier aber. Man will offensichtlich weder Eckert & Ziegler noch GE Healthcare und schon gar nicht den im Bezirksrat diesmal nur zeitweise anwesenden Herrn Buchler (Buchler GmbH) vor den Kopf stoßen. Die Bürger scheinen da zweitrangig zu sein.

„Nicht rechtssicher“?

Hörbaren Protest gab es angesichts der Behauptung, man könne den Bebauungsplan nicht so gestalten, dass man die Firmen weiter einschränke, denn man wolle, dass der Plan vor Gerichten bestehen könne. „Der Plan ist sowieso nicht rechtssicher“, verlautete aus dem Plenum, und das könnte sehr gut Absicht sein.

Der B-Plan-Entwurf vernachlässigt nämlich ausstehende Untersuchungen des Landes Niedersachsen. Die Einlassungen der Verwaltung hierzu konnten diesen Umstand nicht zweifelsfrei widerlegen. Im Gegenteil, ein Bezirksratsmitglied wies erinnernd darauf hin, dass die Verwaltung zwei Jahre lang apodiktisch erklärt habe, sie dürfe das Thema Radioaktivität nicht berücksichtigen, während mittlerweile seit dem bürgerseitig eingebrachten Rechtsgutachten jeder schon immer gewusst zu haben scheine, dass Radioaktivität berücksichtigt werden muss.

Man kann sicher ergänzen: Die Behauptung der Verwaltung, dass die von der Entsorgungskommission des Bundes empfohlenen weitergehenden Untersuchungen des Gesamtgeländes nicht in den B-Plan eingebaut werden müssen, ist mindestens zweifelhaft.

Und wenn dies dazu führt, dass der Bebauungsplan als abwägungsfehlerhaft beklagt wird, fallen wir auf das alte Baurecht zurück; Eckert & Ziegler bekämen in diesem Fall ihre 16,000 m2 Erweiterungsfläche, und Braunschweigs Verwaltung und Politik werden sagen, sie hätten das nicht verhindern können. Es sei hiermit öffentlich gemacht: Sie hätten es verhindern können.

Und sie können auch dann wieder einen neuen Aufstellungsbeschluss aufstellen!!! Sonst wäre die Erweiterung der Firmen zu einer Atommülldrehscheibe nicht mehr aufzuhalten.

Hoffentlich merken sie das noch rechtzeitig.

„Grenzen des Machbaren“?

Die Verwaltung bediente sich im Bezirksrat durchsichtiger inhaltlicher bzw. rhetorischer Standardmaßnahmen. Beinah peinlich wirkte die wiederholte Betonung der Verwaltung, man betrete mit dem Bebauungsplan Neuland. Als ob man hier Verständnis oder gar Mitleid erwartete!

Ist es nicht Aufgabe der Verwaltung, auch solches Neuland zu meistern? Zumal sie in diesem Fall auf die Sachkenntnis ihrer Bürger zurückgreifen könnte, die hervorragende Kontakte zu maßgeblichen Fachleuten haben. Für uns war es anfangs auch Neuland, aber wir haben uns – im Gegensatz zur Verwaltung – von Anfang an, ernsthaft an der Sicherheit der Menschen interessiert, informiert.

Ein verständnisloses Lächeln erntete des Weiteren die Behauptung, man ginge mit dem Entwurf des neuen Bebauungsplanes an die Grenzen des Machbaren. Des Machbaren in welchem Rahmen? Innerhalb der Vorgabe, dass Eckert & Ziegler die Halle in jedem Fall bekommen soll? So jedenfalls wirken die bisher bekannt gewordenen Vorgaben des neuen Plans.

Dem gesunden Menschenverstand entzieht sich nach wie vor, wie man einen Bebauungsplan als Verbesserung darstellen kann, der Einschränkungen nur an den Stellen macht, die ohnehin seit vierzig Jahren nicht genutzt werden, aber Erweiterungen bis zum 10fachen eingebaut hat, die es bisher nicht gab. Mit dem neuen Plan wird der Bau genau jener Halle ermöglicht, die so großen Widerstand erntete, dass man überhaupt erst die Erstellung des neuen Bebauungsplanes beschloss.

Und nicht nur das: Faktisch kann gemäß diesem Bebauungsplan-Entwurf nicht nur die firmenseitig gewünschte neue Halle zur Atommüllverarbeitung (und noch viel mehr!) rechtssicher gebaut werden, sondern es werden auch die illegalen Bauten, Lagerplätze und Parkplätze legalisiert.

Die BISS hat von einer nicht unbekannten Kanzlei die Auskunft erhalten, dass die Kommune hier sehr wohl einiges mehr einbringen könnte. Grenzen des Machbaren? Wie beschränkt ist die Vorstellungskraft der Verwaltung? Liebe Verwaltung, entwickelt endlich positive Visionen für Braunschweig – nicht die Vision einer Nuklearstadt gegen das Wohl ihrer Bürger!

Ziemlich erbärmlich wirkte vor diesem Hintergrund der Versuch, die Zuschauer zu verunsichern mit dem sinngemäßen Hinweis, dass man, um das alles zu verstehen, sich ja in bau- oder überhaupt rechtliche Fragen einlesen müsse. Diese Strategie mag zwar aufgehen, wenn man uninformierte Menschen vor sich hat, aber die allermeisten der Anwesenden sind mittlerweile firm in den einschlägigen Fragen zu diesem Thema.

Wir sind keine Juristen, aber wir haben Juristen an der Hand, die uns gut und nachvollziehbar beraten. Liebe Verwaltung, behandelt uns hier nicht wie Idioten – jedes Schulkind versteht, dass hier etwas falsch läuft! Und die meisten Kinder und Jugendlichen haben ein klareres Verständnis von Verantwortung, als ihr vor aller Augen an den Tag legt. Hier werden Grundrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der besondere staatliche Schutz der Familie (von denen viele hier bewusst durch finanzielle Anreize angesiedelt wurden!) grundlos gefährdet oder sogar verletzt, und ihr schert Euch nicht drum.

Merken Sie was? In Braunschweig sind die Bürger gezwungen, einen Rechtsanwalt gegen den Anwalt ihrer Stadt zu beauftragen, um ein sicheres Lebensumfeld zu schaffen!

Das sollte nicht sein müssen.

Logik des Wegschauens

Der Höhepunkt der differierenden Wirklichkeitswahrnehmung war erreicht, als ein Bezirksratsmitglied darauf hinwies, dass angesichts der Gefährdung, die bereits durch den Normalbetrieb der eines AKW gleicht, völlig unverständlich sei, dass man nicht nur den Status Quo nicht ändere (oder ihn zumindest einfriere), sondern nach wie vor die Erweiterung ermögliche.

Dieser Logik entzog sich die Verwaltung mit der Standardantwort, man dürfe an bestehenden Genehmigungen nichts ändern („Aber sie ändern doch die Genehmigungen nicht, wenn Sie baurechtliche Einschränkungen vornehmen!?“), also, auch nach diesem Einwurf dürfe man daran nichts ändern (mantramantra). Außerdem hätten die Firmen Rechte.

Ja, äh… und die Bürger? Deren Rechte werden mit dem Hinweis auf vorgebliche Ausgewogenheit mit Füßen getreten! Welche Rechte verlören denn die Firmen, wenn Stadt, Land und Bund zusammen einen geeigneteren Standort fänden und ihr Budget mit EU-Fördergeldern aufstockten, um die Umsiedlung zu ermöglichen?

Okay, davon war im Bezirksrat natürlich nicht die Rede, das ist die Maximalforderung. Aber Hand aufs Herz, wie würden Sie angesichts der unstrittigen Punkte entscheiden:

  • Der Standort ist für die Anwohner gefährlicher als ein AKW.
  • Die Firmen haben Rechte.

Welche Rechte sind das? Gibt es ein Recht darauf, bereit JETZT und im NORMALBETRIEB die Bürger mehr zu gefährden als an einem AKW? Was spricht gegen einen geeigneteren Standort?

Ganz zu schweigen davon, dass man bei einem AKW sehen kann, wo man sich ansiedelt. Braunschweig aber hatte keinerlei Probleme damit, mehrere große Baugebiete mit spezieller Werbung für Familien in der Nähe der Nuklearfirmen auszuweisen, deren Art und Tragweite kaum am harmlosen Hinweisschild „Buchler“ neben dem Verweis auf „Bücherei“ und „Lessinggymnasium“ zu erkennen ist. Nirgendwo weist ein Radioaktivitätssymbol auf die tatsächliche Gefährdung hin (2000-Stunden-Regel, bereits jetzt höhere Aktivität als an der Asse, am Zaun des Betriebsgeländes stärkere Strahlung als an jedem bundesdeutschen AKW), von der potentiellen ganz zu schweigen (Genehmigung für das 300-fache des Asse-Inventars). Wir fühlen uns betrogen und im Stich gelassen. Aber Ihr findet das alles völlig in Ordnung.

In dieser unspockschen Logik muss man obige Frage danach, ob es ein Recht darauf gäbe, dass Bürger im Normalbetrieb gefährdet werden dürfen, vermutlich mit „Ja“ beantworten (das Ergebnis des Risikogutachtens kann man kaum leugnen, die Firmenrechte möchte man aber nicht einschränken). Dabei muss man aber gleichzeitig an der Mär der Harmlosigkeit festhalten (sonst könnte es Ärger sowohl mit den Firmen als auch von anderer Seite geben). Oder man muss sich aus der Verantwortung stehlen mit dem Hinweis, man könne rechtlich nichts machen.

Das ist leider nicht ironisch, sondern aktuell Realität.

Immerhin wird nun offenbar nicht mehr betont, dass es bei der neuen Atomhalle lediglich um einen Modernisierungsbau ginge. Man spricht jetzt offen von Erweiterung, die man gestatten müsse (Schwingen der rhetorischen Keule „Ihr habt keine Ahnung von Jura“). Allerdings ignoriert man offenbar die naheliegende Schlussfolgerung, dass mit der geplanten Schließung der Konditionierungsanlage in Duisburg – ebenfalls neben Wohnhäusern – bundesweit nur noch fünf solcher Anlagen vorhanden sein werden, von denen eine in Braunschweig steht.

Und das, obwohl derzeit überregional immer mehr Details über – man höre und staune – eine unerwartet hohe Anzahl maroder Atommüllfässer sowie eine unerwartet hohe Menge des zu bearbeitenden Atommülls in Deutschland ans Licht kommen. Die Frage, was das voraussichtlich für Braunschweig und sein Industriegebiet neben Wohnhäusern und Schulen bedeuten wird, stellt sich Braunschweig überhaupt nicht.

In jedem Fall ignoriert man das wichtigste Ergebnis des eigenen Gutachtens, nämlich das darin beschriebene aktuell vorhandene Gefährdungspotential. Man verwendet diese Erkenntnis nicht dazu, um Abhilfe zu schaffen. Man verwendet das Gutachten lediglich dazu, zumindest theoretisch die Ansiedlung weiterer Nuklearfirmen zu verhindern – sofern denn der B-Plan nicht abwägungsfehlerhaft ist und gekippt wird. (Nebenbei: Wer hätte denn bitte erneut solche Anlagen neben Wohnhäusern und Schulen genehmigt?). Zugleich betont man immer wieder, man bezöge die Ergebnisse des Gutachtens in die B-Plan-Entwicklung ein. Ehrlich: Das ist nicht nur irreführend, das ist falsch und erbärmlich.

Dass während der Bezirksratssitzung in Punkt drei einer Stellungnahme der Verwaltung nicht etwa endlich die Nachricht kam, dass man die Firma zwingt, die illegalen Container wegzuschaffen, sondern so ganz nebenbei eingeschoben wurde, dass in Thune offensichtlich ein Zwischenlager geplant ist, war da kaum noch verwunderlich.

Fazit

Braunschweig stellt sich in der Frage des Thuner Nukleargeländes neben Wohnhäusern und Schulen offen gegen seine Bürger, und zwar mit der Begründung, sie könne nicht einseitig die „Meinungen“ der Bürger berücksichtigen. Tatsächlich bevorzugt sie faktisch einseitig die Firmen. Für die Anwohner gibt es ausschließlich Verschlechterungen, dabei folgt aus dem Restrisikogutachten, dass dringend Verbesserungen geschaffen werden müssen.

Die Stadt Braunschweig mit Rat, Verwaltung und ihrem neuen Oberbürgermeister Markurth muss sich entscheiden: Will sie unter der Überschrift „bürgerfreundliches Braunschweig“ stehen, geprägt beispielsweise vom Ausbau des Bürgerhaushalts und des Stadtteilentwicklungsplans, oder geht sie den scheuklappenbewehrten Thuner Weg weiter? Ist letzteres der Fall, strebt sie wohl nach dem Titel „bundesweit einmalig rücksichtslose Nuklearstadt Braunschweig“.

Uns wäre das andere lieber. Daran arbeiten wir schon lange.

Euer
Eule-Team
der BISS e.V.